Die SOS Kinderdörfer verschicken wenig nachhaltige Werbesendungen, verstricken sich in Ungereimtheiten bei Datenschutz-Nachfragen und zeigen eine unschöne Haltung im Datenschutz. Kommt doch noch ein gutes Ende?

Mit großer Verwunderung zog ich Mitte November einen dicken Briefumschlag aus dem Briefkasten. Werbung von den SOS Kinderdörfern. Rund 40 Gramm schwer, 3 Blatt Papier, 2 Weihnachtskarten und ein Bogen mit Zahlschein sowie 18 Aufklebern. Die Aufkleber gleich mit meiner Adresse bedruckt und toll zum Abziehen auf Verbundmaterial mit Selbstkleber. Ökologisch nachhaltig hatte ich irgendwie anders in Erinnerung. Erst Recht wenn man bedenkt, dass die Werbung wohl an hunderttausende Empfänger gegangen ist.

Greta bestimmt nicht stolz auf SOS Kinderdörfer

Auch wenn ich die Ziele der Organisation grundsätzlich unterstütze, hatte ich mit den SOS Kinderdörfern tatsächlich noch nie Kontakt. Ob sich da eine so umfangreiche Werbung lohnt? Ökologisch bitter, wenn das alles im Altpapier landet. Nur wohin mit den Aufklebern? Die landen aufgrund der mangelnden Trennbarkeit leider meist in der Verbrennung. Greta wäre da bestimmt nicht stolz auf diese Werbeaktion.

Das kleine Marketing 1×1 lehrt aber: mit zielgerichteter Werbung kann man Streuverluste vermeiden. Gutes Targeting, wie der Marketing-Profi es nennt, basiert dabei stets auf den gewünschten Merkmalen der Zielgruppe. Großartig wäre, wenn das Marketing der Hilfsorganisation wenigstens mit gutem Targeting zur Nachhaltigkeit beitragen würde und die Aufkleber genutzt, statt verbrannt würden.

Im Datenschutz besser als im Umweltschutz?

Was für den Umweltschutz gut ist, gilt aber nicht unbedingt auch für den Datenschutz. Denn Targeting bedeutet immer eine Selektion nach den Merkmalen und Eigenschaften des beworbenen Menschen. Neben den Klassikern „Geschlecht und Ort“ sind für Spendenorganisationen sicher auch das Einkommen, das Alter oder die politische Orientierung des potentiellen Adressaten interessant. Denn daraus kann man prima die Spendenwahrscheinlichkeit ableiten und so geeignete Zielgruppen selektieren. Und eine Selektion muss stattgefunden haben, denn andere Bewohner unseres Hauses haben keine Werbung der Organisation erhalten.

Klar, dass mich bei solchen Gedanken die Frage bewegt, nach welchen Kriterien ich selbst selektiert wurde. Doch halt: Woher hat SOS Kinderdörfer überhaupt meine Adresse? Welche weiteren Daten wurden gesammelt? Und wie hilfsbereit und Datenschutz-freundlich gestaltet sich der Dialog mit der Hilfsorganisation? Fragen, die sicher der Datenschutzbeauftragte beantworten kann – und dessen Kontaktdaten findet man bekanntlich im Web.

Website nicht wirklich Datenschutz-konform

Glücklicherweise war auf dem Werbeschreiben gleich ein Datenschutz-Hinweis mit einer Web-Adresse zu finden. Zu meiner Verwunderung benachrichtigte mich mein Privacy Badger gleich über 10 Tracker bei der Spendenorganisation – und das ausgerechnet auf der im Schreiben angegebenen Datenschutzseite. Darunter facebook Connect Custom Audience Pixel, über dessen Einsatz die Bayerische Aufsichtsbehörde bereits im Oktober 2017 urteilte:

Ohne wirksame Einwilligung ist die erweiterte Funktion des Facebook-Pixels datenschutzrechtlich unzulässig.

Bayerisches Landesamt für Datenschutzaufsicht, 2017
10 Tracker & Netzwerk-Analyse auf den Seiten der SOS Kinderdörfer, 19.11.2019

Eine Einwilligung hatte ich nicht erteilt und mein Interesse war geweckt, einmal genauer nachzusehen. Die vollständige Wirkungslosigkeit des angezeigten Cookie-Banners konnte ich mit einer Netzwerkanalyse leicht nachweisen. Neben der Bayerischen Aufsichtsbehörde fordert mittlerweile auch der Europäische Gerichtshof eine aktive Einwilligung in personenbezogenes Tracking – bevor die Datenübermittlung beginnt. Und das war nachweislich am 19.11.2019 nicht der Fall.

Eine Veröffentlichung der Erkenntnisse oder gar eine Meldung an die Aufsichtsbehörde, schien mir etwas unangemessen – auch wenn ich schwer enttäuscht vom sorglosen Handeln der SOS Kinderdörfer war. Per E-Mail wandte ich mich daher an den Datenschutzbeauftragten der Organisation:

Datenschutzbeauftragter kein Unbekannter

Zu meiner Freude war in der E-Mail-Adresse des Datenschutzbeauftragten die Domain einer bekannten Münchener Datenschutz-Kanzlei zu erkennen, die offenbar als externer Datenschutzbeauftragter (DSB) bestellt war. Ein Glück, dass ich den Kanzlei-Chef seit vielen Jahren persönlich kenne, denn ein Austausch unter geschätzten Geschäftsfreunden macht die Dinge manchmal leichter.

So bat ich neben der offiziellen Anfrage den Chef persönlich um Bearbeitung. Schließlich wollte ich gerne über einen positiven Fall berichten und erst abwarten, bis SOS Kinderdörfer den Fall gelöst hat. Der Chef sicherte mir zu: „Ja, vielen Dank – das ist adressiert – wird sich in Kürze ändern.“

Pressesprecher übernimmt Aufgaben des Datenschutzbeauftragten

Die Überraschung war groß, als ich rund 14 Tage später eine E-Mail statt der erbetenen postalischen Auskunft bekam. Nicht jedoch vom verantwortlichen DSB, sondern vom Pressesprecher der Spendenorganisation. Nach zahlreichen Kontakten, die ich bisher zu Datenschutzbeauftragten hatte, war es das erste Mal, dass eine Anfrage von einem Mitarbeiter einer deutlich anderen Profession beantwortet wurde.

Noch irritierender als der Absender der E-Mail war aber deren Inhalt. So begann die E-Mail mit:

Wir bestätigen Ihnen gerne, dass wir Ihre personenbezogenen Daten künftig nicht mehr für werbliche Zwecke verarbeiten und nutzen werden.

Pressesprecher SOS Kinderdörfer, 05.12.2019

Diese Aussage konnte ich überhaupt nicht nachvollziehen, da ich der Werbezusendung gar nicht widersprochen hatte. Vielmehr hatte ich sogar explizit darum gebeten, meine Daten nicht zu verändern. Warum der DSB/Pressesprecher trotzdem meiner klaren Bitte nicht gefolgt ist und sich in langen Erklärungen zum Werbewiderspruch ergießt, war für mich unerklärlich. „Sechs setzen – Thema verfehlt“, hätte mein Deutschlehrer da sicher geurteilt.

Als Betroffener empfinde ich umfangreichen Texte, die komplett am Thema vorbei gehen als unglaubliches Blendwerk. Wieso wird nicht auf meine konkreten Bitten und Fragen eingegangen? Liegt das daran, dass nicht der verantwortliche DSB, sondern der Pressesprecher meine Anfrage beantwortet? Oder wurde meine E-Mail etwa gar nicht richtig gelesen? Ist das der sorgfältige Umgang, den man als Betroffener von einer Spendenorganisation erwarten kann?

E-Mail-Antwort des Pressesprechers (Seite 1), Schwärzung: Autor

SOS Kinderdörfer kauft Adressdaten in der Schweiz

Doch damit nicht genug. Neben einer rein schematischen Beantwortung der Auskunftsanfrage, die keinen Rückschluss auf die konkreten Inhalte der verarbeiteten Daten zuließ, wurde meine Frage nach den Selektionskriterien für die Werbeaussendung ebenso ignoriert.

Obwohl der Pressesprecher umfangreiche Ausführungen zum Werbewiderspruch bei der AZ Direct GmbH, Gütersloh formuliert, wurden meine Daten nach Angaben der Organisation in der Schweiz von der HMK V AG, Kreuzlingen angekauft. Ein Unternehmen, das nach Website-Angaben gar keinen Adresshandel betreibt, sondern der größte Anbieter von limitierten Sammler-Kollektionen ist.

Für meine Begriffe ein ziemlich undurchsichtiges Geflecht und geradezu beunruhigend, dass eine seriöse Spendenorganisation sich solcher Geschäftspartner und Ankaufspraktiken im Ausland bedient.

E-Mail-Antwort des Pressesprechers (Seite 2), Markierung: Autor

Hinzu kommt die rechtliche Frage des Datentransfers aus einem nicht EU-Land. Ob und inwieweit solche Datentransfers aus der Schweiz überhaupt von der DSGVO gedeckt sind, kann ich als juristischer Laie nicht beurteilen – aber ein komisches „Geschmäckle“ hat die ganze Sache in jedem Fall für mich.

Bagatellisierung statt einsichtigem Verhalten

Völlig geschockt war ich dann aber von den weiteren Ausführungen des Pressesprechers, der feststellt:

Wenn ich im Netz unterwegs bin, haben (zumindest gefühlt) 99 Prozent aller Websites noch immer die alte Zustimmungslösung.

Pressesprecher SOS Kinderdörfer, 05.12.2019

Ist das der Versuch, den eigenen Verstoß zu bagatellisieren oder gar zu legitimieren? Offenbar fehlt es dem Pressesprecher hier deutlich an Sensibilität für das Thema. Kein Wunder, denn Datenschutz und sensibler Datenumgang ist kaum im Fokus einer Presseabteilung.

E-Mail-Antwort des Pressesprechers (Seite 3), Schwärzung/Markierung: Autor

Bitter ist diese Aussage auch von jedem Nicht-Sachkundigen, kommt sie doch der Rechtfertigung gleich, dass es völlig in Ordnung ist, in der Spielstraße zu rasen, weil es alle anderen doch auch tun. Schließlich wurden die Schilder auch erst vor Monaten aufgestellt.

Dass eine Spendenorganisation, die sorgsam und sensibel mit den Spendengeldern und personenbezogenen Daten hantieren sollte, im Pressebereich offenbar eine deutlich andere Haltung hat, schockiert mich nachhaltig.

Daten-Weitergabe an Presseabteilung rechtens?

Meine Irritation, dass sensible Datenschutz-Anfragen durch den Pressesprecher statt durch den eigentlich verantwortlichen Datenschutzbeauftragten bei SOS Kinderdörfer bearbeitet werden, ließ mich vor dem Hintergrund der verstörenden Aussagen nicht los. Ich gab daher die Frage zum Rechtsgrund der Daten-Weitergabe an den eigentlichen DSB weiter. Der DSB antwortete mir dazu:

Die Weitergabe/Einbindung des Pressebereichs wurde vorliegend auf Art. Art. 6 1 (f) DSGVO (berechtigtes Interesse) gestützt.

Verantwortlicher DSB der SOS Kinderdörfer

Ob diese Aussage juristisch haltbar ist, kann ich als Nicht-Jurist nicht beurteilen, habe aber meine deutlichen Zweifel. Selbst wenn ein „berechtigtes Interesse“ hier juristisch beanstandungsfrei sein sollte, hat sich der DSB und die Organisation mit dieser Entscheidung sicher keinen Gefallen getan. Sensibel und verantwortungsvoll geht anders.

Ich habe jetzt der weiteren Verarbeitung meiner Daten durch die Presseabteilung widersprochen. Vielleicht besser, die Beantwortung übernehmen nur noch Datenschutz-Profis, um weiteres Kommunikationschaos zu vermeiden, für das man sich sogar entschuldigen muss.

Für die missglückte Kommunikation möchte ich mich auch ausdrücklich entschuldigen.

Verantwortlicher DSB der SOS Kinderdörfer, 10.12.2019

Ausgang offen…

Dem Pressesprecher steht es natürlich frei, über die im Impressum angegebenen Daten Kontakt aufzunehmen, wenn er auf den Bericht eingehen möchte. Eine direkte Stellungnahme als Beitrags-Kommentar ist natürlich genauso möglich. Ich warte derweil auf die umfassende und fristgerechte Beantwortung meiner Fragen durch den DSB.

Auch wenn SOS Kinderdörfer unglaublich viele Fettnäpfchen getroffen hat, möchte ich nicht glauben, dass das Erlebte wirklich die Datenschutz-Haltung der gesamten Organisation ist – und hoffe immer noch auf einen positiven Ausgang.

[Update 06.03.2020]
Obwohl SOS Kinderdörfer sich nachhaltig in Intransparenz übt, bat mich der Pressesprecher heute um eine „aktuelle Darstellung„, der ich gerne nachgekommen bin.


Vielleicht interessieren Sie auch andere Artikel, wie sich Unternehmen bei Auskunftsersuchen verhalten oder Aufsichtsbehörden bei Beschwerden über unrechtmäßiges Tracking reagieren?