Gestern war es endlich soweit: Gesundheitsminister Spahn hat die lang erwartete Corona-Warn-App vorgestellt. Doch bereits zum Start ist klar: Der Flop ist vorprogrammiert – nicht nur, weil die App dem „Spahn-sinn“ entspringt. Zum Glück gibt eine bessere Lösung, die wir verfolgen sollten.
Ein Kommentar von Christian Bennefeld


Wissenschaftler betonen eindringlich die Wichtigkeit der Kontaktverfolgung, um die Pandemie effektiv zu bekämpfen. Statt einer manuellen, arbeits- und zeitintensiven Nachverfolgung, soll eine Smartphone-App die Kontakte elektronisch erkennen und betroffene Nutzer automatisch benachrichtigen.

Doch der Weg zur deutschen Corona-Warn-App war hart, steinig und ganz besonders lang. Ähnlich dem deutschen Maut-System hat man den Eindruck, wir Deutschen müssen alles anders machen als alle anderen – ohne dass es besser wird. Man könnte meinen, deutsche Gründlichkeit, deutscher Datenschutz und deutsche Ingenieurskunst haben sich besonders lange die Hand gegeben, um die Corona-Warn-App maximal zu verzögern.

Datenschutz stiftet Vertrauen – die Regierung das Gegenteil

Ich meine, es war gut und richtig, einen möglichst Daten-sparsamen, dezentralen Weg einzuschlagen, der im Einklang mit der DSGVO steht und vor allem Vertrauen beim Bürger schafft. Denn eine freiwillige App-Installation lebt einzig von Vertrauen. Aber das ist nun langsam in der Bevölkerung verspielt.

Die Diskussion und der Irrglaube unserer Regierung man könne Apple vorschreiben, seine Bluetooth Funktionen speziell für die deutsche Corona-App zu öffnen, war einfach grotesk. Ein Versuch, ohne Apple-Beistand zu starten, ebenso. Denn die App stets im Vordergrund zu halten, weil die Betriebssystem-seitige Unterstützung fehlt, kostet den Nutzer nicht nur Komfort, sondern vor allem viel Batterieleistung. 

Schaut man sich die Corona-App-Implementierungen anderer Länder an, stellt man fest, dass alle Apps, die ohne Betriebssystem-Unterstützung laufen, gefloppt sind. Gut zwei Monate nach dem Start in Österreich verwendeten Anfang Juni gerade einmal 300.000 Nutzer der 8,9 Mio. Einwohner die App des Roten Kreuzes. Vorreiter Singapur, die als erste mit einer App gestartet sind, kommen bisher nur auf rund 25%. Die höchste Verbreitung überhaupt hat Island mit auch nur 40% – nach zwei Monaten der Corona-Hochzeit. Heute sieht wirklich jeder, dass dieser Weg eine Sackgasse ist – zum Glück auch unsere Regierung.

Gesundheitsminister Spahn sät Misstrauen

Der Richtungsstreit um eine zentrale oder dezentrale Datenhaltung hat ebenso nicht zum Vertrauensaufbau beigetragen. „Der Staat will meine privaten Kontakte zentral speichern“ ist als Botschaft angekommen. Klar, dass sich bei unserer Stasi-Vergangenheit viele Menschen Sorgen machen.

Andere „Spahn-sinnige“ Ideen, wie die Herausgabe sensibler Handy-Bewegungsdaten an Regierungsbehörden, sorgen für zusätzliches Misstrauen. Aus gutem Grund: Lässt sich das Bestreben doch kaum mit der geltenden Gesetzgebung vereinbaren.

Misstrauischem Mann stehen Haare zu Berge

Verständlich, dass der Gesundheitsminister nicht mit der DSGVO vertraut ist. Aber was treibt ihn zu derart absurden Ideen? Nur weil wir eine temporäre Krise erleben, sollen alle Datenschutz-Errungenschaften der letzten Jahrzehnte mal eben aufgeweicht oder besser komplett über Bord geworfen werden? Unglaublich, dass solche Vorschläge überhaupt länger diskutiert werden.

Heute Corona-Ausweis damals Handgelenk-Tattoo

Noch unglaublicher ist aber die zynische Diskussion um den Corona-Ausweis. Natürlich wird jeder, der Covid-19 überstanden hat, gerne den Nachweis führen, um sich Masken- und Restriktionsfrei bewegen zu können. Aber sollten wir es deswegen zur Pflicht machen, Menschen aufgrund ihres Gesundheitszustandes zu kennzeichnen, um so den Einlass zu Freizeitaktivitäten, Restaurants oder Behörden zu kontrollieren?

Hand mit Barcode

Der Diskriminierung wird damit ganz offiziell die Tür geöffnet. Leider kommen wieder traurige Erinnerungen an die deutsche Geschichte hoch, wo ethnische Herkunft, Religion oder Gesundheitszustand offizielle Gründe zur Kennzeichnung unserer Mitmenschen waren. Ein absolutes Horror-Szenario, das jedwedes Bürger-Vertrauen zerstört und wieder nur dem „Spahn-sinn“ entspringt.

App scheitert nicht am Vertrauen, sondern am Markt

Aus meiner Sicht ist die deutsche Corona-App im Zusammenspiel mit den Corona-Schnittstellen von Apple und Google die Datenschutz-technisch weltweit beste Lösung. Der Datenschutz ist daher kaum ein Problem. Der Markt und die Durchdringung sind die eigentlichen Herausforderungen.

Fordern Wissenschaftler heute, dass mindestens 60% der Bevölkerung die App einsetzen müssen, um die Pandemie in den Griff zu bekommen, sprechen die Smartphone-Marktzahlen eine andere Sprache. So haben laut Statista heute nur etwa 80% der deutschen Bevölkerung überhaupt ein Smartphone. Davon besitzen wiederum nur rund 80% ein Smartphone, das auch die technischen Voraussetzungen für die Corona-App-Installation mitbringt, denn die App läuft nur auf neueren Geräten. Insgesamt können damit nur rund 64% der Deutschen die Warn-App überhaupt installieren, so alle das Betriebssystem aktualisieren.

60% sind absolut utopisch

Wie man unter diesen Bedienungen auf einen Bevölkerungsanteil von mindestens 60% kommen will, verstehe ich nicht. Auch langfristig fehlt mir die Phantasie, wie das jemals gelingen kann. Führt man sich vor Augen, dass die sehr beliebte und auf fast jedem Smartphone lauffähige „Whatsapp“, heute gerade mal einen Marktanteil von über 60% erreicht – als einzige App überhaupt. Da wird es für die Warn-App wohl sehr schwer, in diese Dimension zu kommen.

Aktuelle Befragungen von Marktforschern prognostizieren zudem, dass nur 30-50% der Smartphone-Nutzer die App installieren wollten – so sie die technischen Voraussetzungen haben. Egal wie man es dreht und wendet: auf 60% oder gar mehr werden wir niemals kommen – auch langfristig nicht.

Deinstallation vorprogrammiert

Selbst wenn es gelingt, dass viele die App initial installieren, wird dies nicht von Dauer sein. Denn auch wenn alles „low energy“ ist, benötigen zusätzlich versendete Funksignale eben auch zusätzlichen Strom. Strom, der anderen Apps nicht mehr zur Verfügung steht. Die Antwort von jungen Power-Usern auf die Frage, ob man aus Stromspar-Gründen lieber facebook, Whatsapp oder die Corona-App abgeschaltet, fürchtet sicher jeder.

Aber auch User mit geringer Smartphone-Nutzung werden die Installation kritisch hinterfragen. Insbesondere wenn nur wenige mitmachen und damit der tatsächliche Nutzen in Frage gestellt wird. Was scheinbar nichts nutzt und immer nur Strom verbraucht, wird schnell deinstalliert.

Datenschutz vor Gesundheitsschutz?

Besonders Datenschutz-sensible werden die App vermutlich auch nicht dauerhaft einsetzen. Selbst wenn die App kein direktes Datenschutz-Problem darstellt, kann jedes Handy mit aktiviertem Bluetooth räumlich lokalisiert und verfolgt werden. Schon heute nutzen viele Einkaufszentren, Touristikattraktionen oder Flughäfen sogenannte Beacon-Technologien, um Bewegungsprofile eines jeden Smartphone-Nutzers mit eingeschaltetem Bluetooth zu erstellen. Pest oder Corona ist dann sicher die Frage der Datenschutz-Hardliner.

Lösung des Dilemmas

Der technische Ansatz der Corona-Warn-App ist genau richtig, nur ist das Smartphone als Plattform in meinen Augen ungeeignet. Stattdessen sollte ein dediziertes, Android-basiertes Bluetooth-Gerät die Aufgabe übernehmen, die Kontakte mit einer angepassten Corona-Warn-App zu registrieren. Nur die Bedienoberfläche wird – Bluetooth sei Dank – auf das Smartphone ausgelagert, das dann die Internet-Kommunikation zum Datenabgleich übernimmt. Das kleine Bildschirm-lose Gerät konkurriert nicht mit anderen Anwendungen und könnte z. B. immer am Schlüsselanhänger getragen werden. Eine sehr hohe Akzeptanz ohne Deinstallationseffekt wäre die Folge.

Andere sind schon weiter

Singapur geht bereits einen ähnlichen Weg, nachdem die TraceTogether-App gefloppt ist, und gibt jetzt „Token“ an seine Bürger aus. Natürlich genügen die nicht deutschen Standards, aber wir können es ja besser machen.

Wenn unsere Regierung auch kleine Geräte mit Warn-App-gleichem Datenschutz an jedermann herausgeben würde, wäre die Verbreitung maximal. Die Pandemie wäre beherrschbar und wir Bürger geschützt.

Ein echter Lichtblick, den „Spahn-sinn“ abzustellen und das Problem nachhaltig zu lösen. Hoffen wir, dass unsere Regierung das bald erkennt, entsprechende Mittel bewilligt und mit einem „Wums“ Gas gibt, um das Projekt mit Leben zu füllen. Nur so werden wir die Pandemie endlich bekämpfen können, denn bis ein Impfstoff flächendeckend verfügbar ist, wird es wohl noch lange dauern.


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